BAU

Um die Wende zum 20. Jahrhundert erwies sich das Streckennetz in Berlin für den wachsenden Güterverkehr zunehmend als Engpass. Auch aus militärstrategischen Gründen wurde eine Umfahrung der Hauptstadt in Erwägung gezogen.

1898 bestand der Plan, die Strecke der Osthavelländischen Kreisbahnen von Ketzin über Paretz, Falkenrehde, Satzkorn und Bornim bis nach Wildpark an die Berlin-Magdeburger Bahn zu verlängern. Dieser Entwurf wurde jedoch von der Kleinbahn-Aufsichtsbehörde abgelehnt. Die Gespräche darüber führten jedoch erfreulicherweise zu einem anderen Ergebnis – der Staatsbahnstrecke Nauen – Wildpark, die am 01.09.1902 eröffnet wurde. Diese führte über die Stationen Bredow, Wustermark (Anschluß an die Lehrter Bahn), Priort, Satzkorn, Marquardt, Bornim-Grube und Golm bis nach Wildpark (heute Potsdam Park Sanssouci) mit Anschluss an die Magdeburger Bahn. Im Volksmund wurde sie lange Zeit auch Rutschbahn genannt. Diese Bezeichnung kam daher, weil es bei den Bauarbeiten zwischen Nauen und Bredow nach einem Gewitterregen zu einem großen Dammrutsch kam.
5. Teil aus der Reihe „Die Eisenbahn in und um Nauen auf nauen.eu

Gegen 1900 begann der Bau von Wildpark nach Nauen. Am 18. September 1900 war in der Zeitung zu lesen:

 „Der Bau der neuen Eisenbahn von Wildpark nach Nauen schreitet rüstig vorwärts. Der Damm ist nahezu vollständig hergestellt, und man ist jetzt mit den zahlreichen Brückenbauten, welche bei dieser vielfach über Wiesengräben führenden Trasse notwendig sind, beschäftigt. Die Lieferung von Schwellen und Bohlenbelägen für diese Strecke ist öffentlich ausgeschrieben worden. Bei dem Wege, der von Eiche nach Kuhfort über das Golmerbruch führt, ist die neue Bahn über die Strecke der Berlin-Potsdam-Magdeburg Eisenbahn hinweggeführt.“

Quelle: Ortsfibel Satzkorn
Gemeindeverwaltung Satzkorn, Lageplan zum Bahnhof Satzkorn, 3/1901 © Kreisarchiv Potsdam-Mittelmark 50.48/15

Am 01.09.1902 erfolgte die Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke Wildpark – Nauen und somit auch des typisch preußischen Bahnhofs Satzkorn. Es war ein Bahnhof für Personen- und Güterverkehr. Das Bahnhofsgebäude ist ein roter Ziegelbau, teilweise verputzt.

Bahnhof Satzkorn, Postkartenmotiv 1922 © Archiv Matthias Manske
Bahnhof Satzkorn, ca. 1912, Quelle: nazadvgsvg.ru

Ab 01. Oktober 1908 bestand eine durchgehende Verbindung von Jüterbog über Treuenbrietzen – Beelitz – Wildpark – Wustermark bis nach Nauen (ab 1915 weiter über Kremmen bis nach Oranienburg).

Wie sich das Berliner Eisenbahnnetz entwickelt hat, ist auf der > Seite „Lage“ dargestellt.

Technische Entwicklung

Ab 1961/62 wurde die Strecke zweigleisig ausgebaut, denn nach dem Mauerbau 1961 musste Westberlin umfahren werden. Neben den beiden Hauptgleisen befanden sich auf beiden Seiten Überholgleise.

1964 wurde am Nordkopf das Relaisstellwerk (Drucktastenstellwerk) in Betrieb genommen. Es war das hundertste Stellwerk der Deutschen Reichsbahn (DR).

Die offizielle Abkürzung für den Bahnhof war SAT. Bis in die 1960er Jahre war der Bahnhof Satzkorn der größte Umspannbahnhof der Region.

1962 wurde die Schranke am Bahnhof Satzkorn durch eine Fußgängerbrücke ersetzt. Diese Brücke wurde 2009 abgerissen, weil sie reparaturbedürftig war und die Stadt Potsdam sich nicht an den Kosten beteiligen wollte. Seitdem müssen die in der Bahnhofstraße wohnenden SatzkornerInnen einen weiten Umweg nehmen, um in ihr Dorf zu kommen. 

Zum Glück wurde mit Hilfe von Geldern aus der Satzkorner Gemeindekasse 2009 wenigstens der Bahnübergang an der Straße des Friedens 1,5 km nördlich des Bahnhofs mit einer Schrankenanlage versehen und somit vor der Schließung bewahrt.

Am 15.12.1982 wurde der Streckenabschnitt Golm – Priort elektrifiziert.

2006 wurde das westseitige Überholgleis / Bahnhofsgleis abgehängt. Eine Reaktivierung und Verlängerung dieses Überholgleises wurde von der DB um 2020/21 geplant, dann aber aus Kostengründen wieder verworfen. Die Schwellen sind noch vorhanden.

Am 23.11.2009 wurde das Drucktastenstellwerk (Relaistechnik Ostseite) durch ein Elekronisches Stellwerk (Westseite) ersetzt.

Funktion

Seit seiner Eröffnung 1902 diente Satzkorn als Personenbahnhof für die umliegenden Dörfer. Bis 1961 galt der S-Bahntarif für den Personenzug. Zu DDR-Zeiten war Satzkorn gut angebunden. Hier hielten Regionalzüge und Schienenbusse, die sogenannten „Ferkeltaxen“, die wegen ihrer rundlichen Form so hießen. Der Bahnhof Satzkorn war Arbeitsstätte von acht bis zehn Personen pro Schicht: der Fahrdienstleiter, eine Bahnsteigaufsicht, zwei Frauen im Büro, ein Rangierer und mehrere Bahnarbeiter.

Über den Güterbahnhof Satzkorn wurde frisches Obst und Gemüse von den umliegenden Anbaugebieten verladen und in das gesamte DDR-Gebiet, nach West-Berlin und in die Bundesrepublik transportiert. Auch die Erträge aus der Satzkorner Tulpen- und Gladiolenzucht wurden über den Bahnhof Satzkorn verschickt. Damit ist der Bahnhof eng mit der Landwirtschaftsgeschichte des Obstanbaugebiets und der Zierpflanzenproduktion verbunden.

Mit der Inbetriebnahme des Bahnhof Satzkorn wurde im Bahnhofsgebäude auch eine Bahnhofswirtschaft eingerichtet. Sie wurde nacheinander von den Betreibern Noack, Klose, Hofmann und Rengshagen geführt. Die Bahnhofswirtschaft (später Mitropa) war ein beliebter Treffpunkt für Reisende und Ortsansässige.

Soldaten der Sowjetarmee am Bahnhof Satzkorn, Quelle: nazadvgsvg.ru

Der Bahnhof Satzkorn diente zu allen Zeiten auch als Militärbahnhof für den nahegelegene Standort Krampnitz, z.B. ab 1939 für die „Heeres-Reit- und Fahrschule und Kavallerieschule“ , die Wehrmacht sowie von 1945 bis 1994 für die Rote Armee/GUS-Truppen. Tausende Soldaten sind in Satzkorn ein- und ausgestiegen. Unzählige Waffen, Panzer und anderes Kriegsmaterial wurden hier ent- und verladen.

„Heeresverpflegungsamt Satzkorn“

Über eine Schiene an der Ostseite der Gleisanlage war das Heeresverpflegungamt an die Bahnlinie angeschlossen.

Das Versorgungsamt Satzkorn diente von 1936 bis 1938 als Depot des Heeres und des Schießplatzes Döberitz. Am Bahnhof Satzkorn wurden in großen Speichergebäuden Lebensmittel in lagerfähiger Verpackung sowie Konserven für die Truppenversorgung vorgehalten. Ausserdem wurde Getreide und Futter für die Pferde dort gelagert. Die Großbäckerei belieferte unter anderem auch das Olympische Dorf.

Im Deutschen Reich gab es bis 1945 ein Netz von zweihundert Heeresverpflegungsämtern.

„Militärstädtchen Nr. 1 Satzkorn“

Nach dem zweiten Weltkrieg nutzte die Rote Armee das Areal weiter, übernahmen viele Einrichtungen und bauten neue hinzu. Dort befanden sich auf einer Fläche von 17,5 ha u.a. Kasernen, die Stabsstelle, Wohnhäuser, eine Gaststätte, die Großbäckerei, Garagen, eine Kühlkammer und massive Lager- und Speichergebäude, Ställe, Kraftstofftank und sogar eine Sauna.

Militärstädtchen Satzkorn – Lageplan, Quelle: nazadvgsvg.ru
Großbäckerei im Militärstädtchen Nr. 1, Quelle: nazadvgsvg.ru

Diese Gebäude waren aus Stahlbeton gefertigt, hatten 5 bis 7 Etagen nach oben und 4 unterirdische Stockwerke. Diese waren über sehr große Aufzüge miteinander verbunden.

Abzug der GUS-Truppen

Der Abzug der in Krampnitz stationierten 10. Garde-Panzerdivision der Sowjetarmee/GUS-Truppen erfolgte weitestgehend über den Bahnhof Satzkorn. Zwischen Januar 1991 und August 1994 zogen sich insgesamt rund 340.000 Soldaten der Westgruppe der in der DDR stationierten Besatzungstruppen der Sowjetunion friedlich zurück.

Fotos von Joachim Liebe, 1994

Quelle: Vergessene Sieger, Joachim Liebe, mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, 2015

„Der Abzug war die in der Militärgeschichte größte Truppenverlegung zu Friedenszeiten. In Folgeverhandlungen wurde der Termin auf den 31. August 1994 vorverlegt. Als Gegenleistung verpflichtete sich Deutschland, der Sowjetunion bzw. der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten rund 15 Milliarden Deutsche Mark (kaufkraftbereinigt in heutiger Währung: rund 12,2 Milliarden Euro) zur Deckung der Kosten für die Rückführung, für Umschulungsmaßnahmen der Soldaten und für den Aufbau von Wohnungen zu tragen. Trotz der Schwierigkeiten, die sich aus der Auflösung der Sowjetunion im gleichen Zeitraum ergaben, wurde der Abzug planmäßig und fristgemäß bis Ende August 1994 vollzogen. Abgezogen wurden sechs russische Armeen und weitere Truppenverbände.[9] Der Rücktransport der Truppen und des Materials verlief vor allem auf dem Seeweg über den Hafen Rostock und den Fährhafen Sassnitz sowie per Bahn durch Polen.“

Quelle: Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland – Wikipedia
Verladene Panzer: Abfahrt vom Bahnhof Satzkorn, Quelle: nazadvgsvg.ru

Einige russische Veteranen erinnern sich offensichtlich gern an ihre Zeit in Satzkorn zurück. So sehr, dass sie auf speziellen Vetranenseiten ihre Erinnungen und Fotos teilen > Galerie.

Nach Abzug der GUS-Truppen stand das Militärstädtchen leer. Die schon vor Einzug der Roten Armee bestehenden Gebäude, die zum Teil in Klinkermauerwerk errichtet worden waren, zeigten sich immer noch in einem sehr guten äußeren Zustand.

Als militärische Liegenschaft ging das Versorgungslager Satzkorn in die Obliegenheit des Bundesvermögensamtes über. Im Januar 1995 gab das BVA die Zustimmung zur Errichtung eines 15 ha großen Gewerbegebietes.

Die Speichergebäude wurden gesprengt. Dafür waren mehrere Anläufe notwendig. Nach der ersten missglückten Sprengung im Dezember 1997 machte der Hobbyfilmer und jetzige Ortschronist Axel Starck eine VHS-Aufnahme der Anlage:

Die letzte Zündung am Samstag, den 22.03.1998 blieb den Satzkornern noch lange in Erinnerung. Die angeblich gleiche Menge Sprengstoff (300 kg) verteilt auf dieselbe Anzahl von Sprenglöchern erbrachte diesmal jedoch erhebliche Beschädigungen an den Häusern der Bergstraße mit sich. So wurden dort zahlreiche Fensterscheiben zerstört, fielen Ziegel vom Dach, entstanden Risse im Mauerwerk und es bröckelte Putz von den Wänden.

Auf dem Gelände des Militärstädtchens entstand ein großes Bau-Gewerbegebiet mit Asphaltmischwerk, Baustoffrecycling, Baustofflager und Umschlagbahnhof. Die zwei Anschlussgleise des ehemaligen Versorgungsamtes sind also weiterhin in Betrieb für Güterzüge, die hier mit Baustoffen be- und entladen werden.

Umschlagbahnhof für Baustoffe und Asphaltmischwerk © Susanna Krüger, September 2023

Die massiven Speicher sind durch die Sprengung unwiederbringlich verloren. Wie schade, dass 1998 niemand das Potential der Gebäude erkannt hat. Unter Klima- und Denkmalschutzaspekten wären die Speicher auf jeden Fall erhaltenswert gewesen.

Aktuelle Situation

Am 22.05.1993 wurde der Bahnhof als Haltepunkt für Personenzüge stillgelegt. > Die Zukunft der leerstehenden Gebäude ist mehr als ungewiss.

An der Ostseite des Bahngeländes sind wie oben beschrieben weiterhin Entladegleise für Baustoffumschlag in Betrieb.

Der Bahnhof Satzkorn ist > ein beliebtes Motiv. Er diente mehrfach als Filmkulisse. Bahnfans kommen gern dorthin, da man hier wegen der langen gerade Strecke tolle Fotos von durchfahrenden Zügen machen kann.